Palermo

Eine Woche später sitzen wir wieder im halb leeren Bus und fahren über Land in drei Stunden nach Palermo. (Wir wissen ja jetzt, wie es geht.) Die Fahrt ist komfortabel mit Einschränkungen, denn alle sind maskiert, Essen und Trinken strikt verboten und nur jeder zweite Platz darf besetzt werden, auch Paare müssen getrennt sitzen.

Wir haben eine Wohnung im Internet gebucht, die zentral in der Altstadt nah am arabischen Viertel liegt und haben es damit wirklich gut getroffen.

L’Attico Campanile, preislich moderat, sehr geschmackvoll eingerichtet mit zwei Schlafzimmern, Küche, Bad, gemütlichem Freisitz mit Blick über die Dächer und sehr angenehm direkt mit eigenem Lift zu erreichen. In die 2,50m schmale Gasse, die dorthin führt, hätten wir uns unter normalen Umständen gar nicht hinein getraut, um so überraschter sind wir als wir in der kurzen Wartezeit auf den Vermieter, ständig zur Seite springen müssen. Mittags-rush-hour, ein Auto nach dem anderen heizt vorbei und drängt uns an die Wand oder in irgendwelche Hauseingänge. Das ist in Palermo aber normal und nicht erwähnenswert gefährlich, denn immerhin besteht ja für diese Gasse ein entschärfendes Tempolimit von 30 km/h.

Für uns ist es nach unserem kurzen Sommeraufenthalt der zweite Kontakt mit dem berühmt berüchtigten Straßenverkehr in dieser Stadt, das macht gleich Lust auf mehr. Wir wollen nur vorher unser Gepäck in der Wohnung deponieren, man ist dann beweglicher beim Ausweichen. Evolution pur, Darwin hatte Recht, wer hier überlebt, kann sehr alt werden! In einem Reiseführer haben wir gelesen, dass der Straßenverkehr – ganz ohne Regeln – in Palermo im Vergleich zum Restitalien noch mal eine Steigerung erfährt und ganz besonders heftig sei und das stimmt. Alles was auf der Straße oder sonst wo herumfährt, ob Bus, LKW, Pkw oder Motorroller tut das angeblich nur, um möglichst viele Fußgänger zu erlegen. Da ist was dran, aber ganz so schlimm war es dann doch nicht. Trotzdem sind wir über den unfreiwilligen Trainingskurs direkt vor unserer Haustür dankbar gewesen. Man muss jederzeit höllisch aufpassen und auch an den unmöglichsten Stellen mit Verkehr rechnen. Eindrucksvoll ist unser Besuch auf dem bekannten Straßenmarkt Mercato Vucciria oder das, was in Corona-Zeiten davon übrig ist, normalerweise steppt hier der Bär, echt traurig.

Die Straßen sind so eng wie in der Altstadt von Licata, das ist hier kein Grund nicht auch noch Verkaufsstände aufzubauen. Der normale Wahnsinnsverkehr findet trotzdem statt. Verkehrsberuhigung unbekannt, ist eh nur was für Weicheier, egal ob Roller, Ape oder Pkw, Spiegel anklappen, Vollgas, Dauerhupe und dann passt das schon. Bremsen ist ein Zeichen von Schwäche und für den normalen „Ferraristi“ gilt jederzeit und immer der Leitsatz: „Wer später bremst, fährt länger schnell!“ Da muss man am Gemüsestand schon mal zur Seite springen,  Erlebniswelt Einkauf vom Feinsten; endlich verstehen wir, was mit diesem Spruch gemeint ist. Man fühlt sich wie ein Torero in der Arena. Dabei gibt es in Palermo auch außerhalb des Straßenverkehrs so viel zu sehen und zu entdecken, hier tobt das pralle Leben. Im letzten Sommer haben wir von Palermo ja nicht viel gesehen, die bleierne Hitze verhinderte die eine oder andere neugierige Aktivität. Das ist nun anders, es ist frühlingshaft mit angenehmen Temperaturen. Touristenmassen sind noch nicht da und wenn man ein Geschäft, Bar oder Restaurant aufsucht, wird man freudig begrüßt, denn man ist froh über jeden Gast und reagiert nicht genervt. Großzügige Boulevards, weitläufige Plätze und monumentale Bauten verleihen Palermo Charakter. Als Provinzeier auf Zeit genießen wir es mal wieder in einer Großstadt zu shoppen und für den Skipper gibt es zu seiner Überraschung auch Kleidung in Erwachsenengröße und sogar Schuhe für ihn zu kaufen, denn seine alten lösen sich langsam auf. Der Aufenthalt in einer Umkleidekabine ist dazu noch sowas von erholsam, denn es ist einer der wenigen Plätze ohne Straßenverkehr.

Dazwischen sitzen wir vor einer Kaffeebar, genießen unseren Cappuccino und beobachten das Getöse um uns herum. Es ist irgendwie liebenswert chaotisch und nicht so durchgestylt wie in Deutschland. In den Nebenstraßen finden sich zur Freude der Skipperin – wie damals in Sevilla – alteingesessene Familienhandwerksbetriebe, spezialisiert auf die Anfertigung von Hüten, Krawatten, Marionetten, Handschuhen, Schuhen, Anzügen, Braut- und Ballkleidern.

Vor der Kathedrale entdecken wir mehrere Maßschneider auch für den geistlichen Stand mit Anzügen und Messgewändern. Die Türen stehen offen und man kann den Meistern über die Schulter schauen. Der Skipper würde sich gerne mal vermessen lassen (natürlich beim Herrenschneider, seine Messdienerzeit gehört wohl eher in den Bereich „Sagen und Märchen“), sieht echt toll aus, was dort bestaunt werden kann. In den kleinen Manufakturen sieht es aus wie in Filmen längst vergangener Zeit. Wenn die Möbeleinbauten reden könnten: gediegenes Mahagoni mit unendlich vielen Schubläden, blank poliert, mit dem Geruch von Bohnerwachs. Mit einem Frauenzollstock (Maßband) und jeder Menge Nadeln werden die Entwürfe an Schneiderpuppen oder am Kunden angepasst.

Die Zeit vergeht wie im Flug; nach zwei Nächten prall voll mit Eindrücken treten wir die Rückreise an. Einen erneuten Besuch können wir uns aber sehr wohl vorstellen.

Ach ja, es ist Covid-Zeit, Maskenpflicht überall mit Polizeikontrolle und Knöllchen, um 18 Uhr müssen alle Lokale schließen, um 22 Uhr ist Zapfenstreich. Für alle, die es uns nachtuen möchten, empfehlen wir unbedingt einen Besuch im Frühling oder Spätherbst, der Sommer ist eher ungeeignet, die Hitze wirkt lähmend und noch ein guter Rat: kommt nicht mit dem eigenen Auto!


One Comment

  1. Sinja

    Es tut gut euren Reisebericht zu lesen. Balsam für die Seele. Es freut mich für Euch, dass ihr am „normalen“ Touristenleben wieder teilnehmen könnt. Oh, wie gerne würden wir auch mal wieder etwas anderes sehen. Aber Corona lässt keinerlei Reisen oder Ausflüge zu. In einer Kaffeebar sitzen zu können oder ne FeWo buchen – traumhafte Vorstellungen. Aber bis es mal wieder so weit ist, zehren wir von Euren Eindrücken und Fotos! Also weiter so und bleibt gesund! Hej då!

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