und dann ruft der Berg. Wir kommen recht gut voran und sind froh, so früh im Jahr unterwegs zu sein, denn auf einigen Abschnitten wuchert der Kanal schon jetzt mehr und mehr zu, an einigen Stellen sind die ersten Seerosen kurz vor der Blüte. Wenn es irgendwie möglich ist, versuchen wir Algenteppiche zu umfahren, klappt nicht immer und es passiert, was passieren muss, bei Columbia läuft der Motor heiß, aus dem Auspuff kommt neben Wasser weißer Dampf/Rauch.
Jetzt muss es schnell gehen, bevor ein richtiger Schaden eintritt oder im Extremfall die Zylinderkopfdichtung durchbrennt, dann wäre Schluss mit lustig. Wir kriechen durch die letzte Schleuse des Tages und finden kurz danach einen freien Anleger. Weitab der Zivilisation müssen wir unser Problem selbst lösen. Schiffsmotoren werden nicht wie Automotoren über den Fahrtwind gekühlt, sondern saugen vereinfacht gesagt Wasser von außen an, welches durch den Motor gepumpt und zusammen mit den Auspuffgasen wieder ausgespuckt wird. Bei Columbia tritt deutlich zu wenig Wasser aus. Ein Check ergibt als erstes Ergebnis ein verstopftes Seewasserfilter, Fadenalgen haben das Filter zugesetzt. Auch am speziellen Freund des Skippers, der oftmals inkontinenten und schwächelnden Seewasserpumpe liegt es dieses Mal erstaunlicherweise nicht. Die ist schnell ausgebaut und zerlegt, doch alles ist in Ordnung. Das Problem sitzt bei Columbia sprichwörtlich tiefer, nämlich kurz vor der Bodenplatte, dort nämlich befindet sich der Wassereinlass.
Nach der Reinigung des Filters und der Überprüfung der Seewasserpumpe ist das Problem nicht behoben, die Pumpe kann einfach nicht genug Wasser ansaugen, der Wassereinlauf am Schiff scheint verstopft. Da hilft nur tauchen! Der Kanal ist am Anleger 1,8m tief, davon ist 1,6m Wasser, der Boden des Kanals besteht aus Schlamm. Der Tiefgang unseres Bootes beträgt 1,30 m. Bleiben also 30 cm Wasser für den Skipper um „unter das Boot“ zu tauchen und mit Spachtel und Bürste den Wassereinlauf frei zu fummeln, sehen kann schon er nach der ersten Bewegung unter Wasser nichts mehr. Zum Glück haben wir noch immer den guten Neoprenanzug an Bord, vor 15 Jahren für den harten Einsatz in Schwedens „Eismeer“ angeschafft, ist zwar über die Jahre etwas eingelaufen, doch bei der Aussicht auf ein alternatives Nacktbaden, zieht sich Skippers Körper auf magische Weise zusammen und die Gummihaut passt schließlich wie angegossen!
Der Neoprenanzug ist ein sogenannter Nassanzug, d.h. er läuft nach dem Eintauchen ganz langsam voll Wasser. Die Wasserschicht zwischen Anzug und Haut wird in der Theorie durch den menschlichen Körper aufgewärmt, so dass man ganz bequem schnuckelig warm tauchen kann. Das kann der Skipper nicht bestätigen, es war einfach rattenkalt – ein unbeschreibliches Gefühl, wenn das kalte Wasser an der Halsmanschette so ganz langsam eintritt und es einem dann sprichwörtlich kalt am Rücken runter läuft, das sind Schmerzen. Es folgt ein traumhafter Tauchgang, der Skipper jedenfalls kommt aus dem Schwärmen nicht heraus. Eine Fangopackung bei 16 Grad, da zieht sich jede Falte glatt. Allen Widrigkeiten zum Trotz gelingt das Vorhaben, eine (Tauch) Wiederholung ist nicht nötig. Das Kontrollfoto mit der Unterwasserkamera am nächsten Tag zeigt das freigelegte Sieb vor dem Wassereinlass, der Motor schnurrt und sabbert seitdem wieder zufrieden vor sich hin.
Übrigens verstopfen die Wasserpflanzen auch regelmäßig die Mechanik der Schleusentore, dann steckt man fest und die VNF-Mitarbeiter rücken mit Rechen und Bagger an. Nun ruft der Berg! Wir sind kurz vor der Wasserscheide, da es wird noch mal sportlich. Schleuse folgt auf Schleuse (9!!), jede hebt uns mehr als 5 m. Unsere eingespielte Leinen-Technik funktioniert hier nicht, aus Sicherheitsgründen gibt es in den Schleusenkammern keine Leitern.
Ewa steigt daher vor der ersten Schleuse aus und angelt auf dem Boden liegend am Schleusenrand von oben die hochgeworfenen oder hochgehobenen Leinen beider Schiffe und belegt diese.
Das ist kein Job für Weicheier und gefährlich, denn es ist glitschig nass da oben, erfordert Trittsicherheit und absolute Schwindelfreiheit. Ewa meistert das ganz souverän und während wir schleusen, geht sie zu Fuß schon mal vor zur nächsten Schleuse, die nur 400 m entfernt ist. Die neun Schleusen spulen wir in Rekordzeit ab – fast bis auf eine, der Schleusenvorgang stoppt plötzlich, wir sitzen unten drin und nix passiert. Nach dem Telefonat mit dem Mitarbeiter des VNF gehts weiter – Erklärung: wir sind zu langsam, häh! Die Sicherheitsautomatik hat abgeschaltet.
An der letzten Schleuse der „Bergauffahrt“ bekommen wir aktuelle Informationen für den Höhepunkt der Reise, die Fahrt durch den Tunnel de Balesme. Wir werden bei der Fahrt kameraüberwacht und dürfen entgegen den Regeln ausnahmsweise im 2er Konvoi fahren. Die Fahrtüberwachung des VNF unserer Boote bis hierher ergab nämlich keinerlei Beanstandungen. Wir freuen uns sehr und sind aufgeregt.
Durch einen Tunnel sind wir mit unserem Boot noch nie gefahren und dann gleich 5 km, Fahrtdauer ca. 40 Minuten. Wir sind sprachlos, ein ganz tolles Erlebnis. Die Tunneleinfahrt wird mit einer Ampel gesteuert, Gegenverkehr ist nicht möglich. Man kann sich ganz auf sein Schiff und in unserem Fall auf die vorausfahrende Unisax konzentrieren – eine Fahrt, die wir nicht vergessen werden.
Es scheint bei dem trüben Licht unwirklich und ist dazu echt kalt, der Tunnel wird wirksam belüftet, um die Motorabgase restlos abzusaugen.
Die nächsten beiden Schleusen gehen bergab – angenehm, ab jetzt läuft die Strömung mit uns. Wir legen am Stadtkai von Langres an. Der Skipper trinkt noch ein Bier und das war das Letzte, woran er sich erinnern kann, erst 12 Stunden später werden wir wach, ein echt komatöser Tiefschlaf.
Übernachten in der Wildnis