Leben am Haken

Voll mit Eindrücken laufen wir kurz vor Sonnenuntergang in Palmi, der klitzekleinen Marina Costa Viola Yachting, am großen Zeh Italiens, ein. Der Hafenmeister ist sehr hilfsbereit und will uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich machen. Zur Begrüßung schenkt er uns eine eiskalte Flasche Prosecco, schöner und aufmerksamer kann ein Willkommen und ein Anlegeschluck nicht sein. Die Marke müssen wir uns merken, schmeckt sehr lecker, fast so wie Cidre.

Die Wettervorhersage kündigt für die nächsten Tage einen Wetterumschwung an mit Starkwind aus West und ordentlichen Wellen, als ob der Vorhang nach Sizilien gefallen wäre. Zusammen mit unseren Freunden Ewa und Anders nehmen wir uns Zeit die nächsten Ziele und Etappen zu planen. Die überdachte Sitzgruppe mit Ventilatoren am Marina-Büro dürfen wir für ein kleines Grillevent nutzen. Scheinbar sind wir zurzeit die einzigen Gastlieger. Der kleine Ort besteht quasi nur aus langen Sandstränden mit blaugrünem Wasser. Es gibt einen Campingplatz und zahllose kleine Appartementhäuser für italienischen Familienurlaub; die Saison ist in den Startlöchern. Wir planen weiter nach Norden zu segeln. Für euch liebe Leser hier nun auch die Antwort auf die Frage, wo geht’s überhaupt in dieser Saison hin? Unser Ziel ist erneut Rom! Nach langem Hin und Her haben wir uns gegen eine Fortsetzung der Segelzeit Richtung Osten und Süden entschieden. Griechenland und Türkei sind im Sommer unerträglich heiß, Kroatien für Segler stark überteuert, von der politischen bzw. Covid Problematik und den riesigen Waldbränden mal ganz abgesehen. Die Juni-Probe des afrikanischen Hochs hat uns noch mal darin bestärkt und nach der zweiten Hitzewelle Ende Juli bis in den August hinein wussten wir, dass wir uns richtig entschieden haben. Weit über 40° Grad sind für uns keine Option. Schweißränder in der Unterhose, nein danke! Sizilien ist für uns also die Wendemarke. Warum Rom? Nicht nur die Reisemöglichkeiten von dort sind optimal. Wir haben Sehnsucht nach den Lieben daheim – von hier kann man schnell mal ne Stippvisite machen, Bus-, Bahnanschluss, 2 Flughäfen alles nah bei und nichts zuletzt in 40 Minuten für 1,50€ zum Petersplatz ist auch nicht zu toppen. Im Vorfeld haben wir mehrere Marinas im weiteren Umfeld von Rom angeschrieben. Porto Turistico di Roma hat uns ein überraschend gutes „all-in“ Angebot gemacht und uns dazu ungefragt noch einen Nachlass als Wiederholungstäter eingeräumt, da haben wir gerne zugesagt.

Doch zuerst trödeln wir an der Südostküste mit Calabrien, Basilikata und Campagnien entlang. Die Nationalparks Pollino und Cilento mit ihren wilden Bergen reichen bis ans Meer und lassen nur Platz für schmale Sandstrände. Die Spiaggia, die für Italien typischen Strandbäder mit bunten Schirmen und Liegestühlen in ordentlichen Reihen und der Strandbude mit Bar und Sanitäranlage, beherrschen das Bild, dazwischen kuscheln sich kleine Häfen hinter Wellenbrechern aus Felsbrocken. Hoch über dem Tyrrhenischen Meer thronen die etwas kühleren Dörfer, manchmal wie Schwalbennester an den Fels geklebt. Eine wunderschöne Kulisse!

Unser nächstes Ziel heißt Vibo Marina, die alte Welle schaukelt uns nach Norden und wie erwartet finden wir in der Marina Azzurra ein nettes Plätzchen für die nächsten Tage. Gewitter liegt in der Luft, da bleiben wir erst mal liegen. Ein Bustrip in den Hauptort Vigo Valentia oben in den Bergen bietet etwas Abwechslung, allein die Fahrt ist wieder mal beeindruckend; kaum zu glauben, durch welch schmale Gässchen die Buslinie führt. Mehrmals muss der Fahrer zurücksetzen, weil es sonst nicht passt. Vor engen, wirklich engen Kurven wird ausgiebig gehupt. „Leider“ ist das Castello über Mittag zu, da muss der Skipper also nicht auch noch hoch, denn der steht schon wieder im Schweiß und droht heiß zu laufen. Dagegen hilft nur ein eiskaltes Granite di Limone! Außer einer kleinen Shoppingmeile und hübschen Palazzi gibt es nichts Außergewöhnliches zu sehen.

Vibo Valentia

Einzig die Temperatur ist hier 5 °Grad niedriger als am Meer. Zum ersten Mal seit Wochen hat die Skipperin doch tatsächlich ganz kurz mal ne Gänsehaut! Unser Temperaturempfinden, ihres jedoch ganz besonders, hat sich durch unser durchgängiges Leben hier im Süden stark verändert. Sie war ja schon immer eine kleine Frostbeule, die in der Vergangenheit leichte Sportverletzungen durch einfaches Handauflegen vereisen konnte und den Verletzungen dadurch den Schmerz nahm, während bei Normalthemperaturen Skippers Hände gerne mal als Wärmepackung dienen können. Der gutmütige Skipper ist daher in der Vergangenheit auch gern mal beim Ankuscheln als „Wärmflasche“ zum Einsatz gekommen. Glücklicherweise heute mehr denn je, denn mittlerweile empfindet sie bereits alles unter 30°C als kühl und fröstelt! Für die nächsten Strecken heißt es erst mal Meilen machen, die Küstenlinie ist glatt, Buchten zum Verstecken gibt es nicht. Klar kann man auf Sand an blanker Küste ankern, doch der Schwell (alte Welle) lässt die Boote hin und her rollen, da ist an Schlaf nicht zu denken. Wir stellen uns innerlich drauf ein, elende 49 Meilen bis Cetraro zu motoren. Doch „Rasmus“ hat ein Einsehen und schenkt uns nur wenige Meilen nach dem Ablegen Wind und wunderschöne Segelstunden. Zwei Drittel der Strecke rauschen wir unter Vollzeug mit bis zu 7 kn dahin, Champagnersegeln heißt das wohl.

Cetraro

Wir erreichen Cetraro daher früher als erwartet und der Anker fällt auf 5 m Sand, blaugrünes Wasser – nicht mit Photoshop bearbeitet  und 30°C warm. Die Ankersaison 2021 ist hiermit eröffnet, auf den nächsten Etappen machen wir Buchtenhopping. Frischwasser ist bei uns ja keine Mangelware, Rainman, der Wassermacher wird ausgewintert und macht die Tanks voll.

Isla di Dino heißt unser nächster Stopp. Die Lage des Ankerplatzes ist spektakulär, früher war hier bestimmt ein Piratennest.

Diese Ecke Italiens ist vom Jet-Set noch nicht entdeckt worden. Gut so! Einheimische bevölkern den kleiner Kiesstrand, Ausflugsboote fahren Touristen zu „blauen Grotten“ und einsamen Sandstränden. Ein paar Fischerboote fahren zum Fang raus, nach 2 Tagen werden wir bei ihrer Rückkehr freundlich begrüßt. Mit Ewa und Anders geht es paddelnd an Land. Wir steigen zum zugehörigen Ort Dean Nicola Arcella oben auf dem Felsplateau auf und sind erstaunt auf ein properes Dorf zu treffen mit Park und Kinderspielplatz! (in Italien eine absolute Rarität), kleinen Geschäften und Restaurants.

Zum Strand unten am Meer gibt es sogar einen Shuttle-Bus, doch die meisten Badegäste fahren mit dem Auto, Italiener gehen nicht gern zu Fuß und schließlich müssen sie zur „Mittagspause“ wieder rauf fahren. „Buono Pranzo“ wünscht der Strandwächter.

Nach soviel Natur freuen wir uns auf die nächste Bucht – Rada di Sapri – mit der zugehörigen Kleinstadt Sapri. Der Liegeplatz ist bis auf Wind und Wellen aus West total geschützt. Der Anker fällt im Schutz des Wellenbrechers der Marina. Hier richten wir uns für länger ein, Einkaufen und Pizza Essen leicht zu managen.

Wir lassen Fürchtenix zu Wasser und können zum nahen Ufer paddeln. Zwischendurch gibt es immer mal wieder Buchtenkino, das ist der spannende Teil beim Leben am Haken.

Der Mini-Anleger in der letzten Ecke der Bucht hat eine Bootstankstelle, denn die kleinen Motorboote haben immer Durst. Doch welche Überraschung als der dicke Fischkutter aus der vorherigen Bucht anfährt, erst einmal werden wir freudig von der Besatzung mit „Hallo Columbia“ begrüßt, mit Geschick und viel Erfahrung und einem „spezial“ langen Schlauch wird getankt. Es ist jetzt August – Hochsaison – freie Plätze sind rar und die Preise in den Marinas sind exorbitant. Bei der Planung der Weiterreise rechnen wir mit starkem Westwind, somit würde der Aufenthalt in unserem kleinen Paradies zur Achterbahnfahrt, Columbia kann das ab – wir nicht. Die Abfrage der nächsten Marinas ist ernüchternd – ausgebucht. Was nun! Planänderung – wir fragen in der Marina Sapri an – 120€ pro Tag, da kriegt man schon mal Schnappatmung. Wir rechnen uns den Preis schön – bei 10 Tagen vor Anker – bleibt nur noch ein Durchschnittspreis von 12€ pro Tag. Wir buchen 2 Tage und bleiben schließlich drei. Die freundliche Dame im Büro gewährt uns mit dem Hinweis auf den Navily-Preis selbigen Tarif von 84€. Überhaupt ist die Marina der Hit, zwei Transport E-Bikes stehen uns kostenlos zur Verfügung, da macht sogar der Einkauf im Eurospin bei 36° Spaß, ist zu Fuß mit den Einkäufen im Rucksack kaum zu schaffen. So genießen wir die Tage  „im Hotel“ und sind froh, dem Rodeoritt  entkommen zu sein. Die Ankerlieger, die ausharren, tanzen 48 Stunden in den Wellen. Manchmal stimmt die Wettervorhersage nämlich!

Über Nacht beruhigt sich das Meer und wir legen ab Richtung Amalfi-Küste. Auf dem Weg bleiben wir eine Nacht in Pioppi vor Anker – ruhiges Liegen unter Sternen.

Das ist dann wohl auch die letzte einsame Ankerbucht gewesen. Es ist Wochenende und das erste Ferienwoche der Italiener, wir passieren Buchten im Naturpark Cilento, wo du wie Jesus übers Wasser laufen kannst, Boote soweit das Auge reicht. Zahllose „Pershings“ rasen an uns vorbei und erzeugen Wellen wie auf dem Atlantik, Columbia taumelt, die werde ich nie wieder freundlich grüßen!! Uns schwant Schreckliches für die weiteren Etappen. In diesem Jahr sind wir wohl nicht allein unterwegs! Nach langer Corona-Pause gönnen wir den Menschen ihren wohlverdienten Urlaub. Nur wir müssen umplanen und uns vorerst vom einsamen Leben am Haken verabschieden!

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