Das aktuelle Wetter in Ostia macht Lust auf Unternehmungen. Seit Wochen ist es nachts zwar kalt und manchmal gibt es leichten Frost, tagsüber aber lacht die Sonne vom wolkenlosen Himmel – von Frühjahrsmüdigkeit keine Spur. Beim Stöbern im Internet sind wir auf den Reisebericht eines Bikers gestoßen, der von Rom aus mit seinem Tourenmotorrad eine gemütliche Rundreise durch die Abruzzen schildert. Sein Bericht und die Fotos sind so beeindruckend, dass wir uns spontan entschließen, dass können wir auch, die Tour fahren wir nach. Ein Motorrad ist nicht zur Hand, jedoch ist ein Kompaktwagen schnell und preisgünstig gebucht und nach einigen Tagen Vorbereitung geht es auch schon los. Die Anreise ist denkbar einfach, wenn man den nackten Wahnsinn auf dem Autobahnring um Rom herum übersteht.
Nach einer Stunde Fahrtzeit ist man in der Einsamkeit, umgeben von Natur pur. Die Abruzzen liegen östlich von Rom, die schneebedeckten Berge haben wir vom Petersdom aus schon bewundert, und reichen bis Pescara an der Adriaküste. Naturschutzgebiete und Hochgebirge mit Schnee, dessen höchste Erhebung nur unwesentlich niedriger ist als die Zugspitze. Das verheißt Kurvenspaß für den Fahrer. Die meisten Straßen sind so, dass man sich freut keinen Gegenverkehr zu haben, dann wird es eng und einer muss rückwärts fahren bis man sich passieren kann. Diese Tour ist nichts für Kilometerfresser. Man ist den ganzen Tag unterwegs und hat sich bis abends nur unwesentlich vom Startpunkt entfernt.
Hier dürfen Straßen noch durch Baumalleen führen!
Serpentinen ohne Ende bergauf und dann wieder runter, der Skipper hat ein Dauergrinsen im Gesicht. Hinter jeder Kurve warten spektakuläre Landschaften und neue Perspektiven.
„Wilder Tiger“
Auf Info-Tafeln wird vor Wildwechsel gewarnt, insbesondere vor Wölfen, Bären und wilden „Tigern“. Bären dürften noch im Winterschlaf sein, Wölfe haben wir nicht gesehen oder gehört, lediglich ein „Tiger“ kreuzt unseren Weg, trotzdem sind wir vorsichtig und fahren langsam, einen Unfall mit Wolf oder Bär würden wir uns nicht verzeihen. Wir kommen durch Dörfer, die noch im Winterschlaf sind, keine Menschenseele zu sehen, die Bürgersteige sind hochgeklappt, abends sieht man nur vereinzelte Lichter in wenigen Häusern, viele kleine Hotels und Herbergen haben noch geschlossen. Nur eine Mini-Karawane mit Maultieren trottet uns entgegen, die irgendwelche Lasten abseits der Wege transportieren.
Muli-Karawane
Eine Übernachtungsmöglichkeit für die ersten zwei Nächte auf gut Glück zu bekommen, hat daher leider nicht geklappt, das ausgesuchte Hotel ist geschlossen. Wir mussten 20 km zurück nach L’Aquila fahren – d.h. über eine der schönsten Hochebenen der Abruzzen „Gran Sasso“ gleich zweimal. Nach mehreren telefonischen Anfragen haben wir schließlich ein kleines Hotel mitten in der Altstadt gefunden. Einen Parkplatz vor der Tür gibt es bei solch einer Lage natürlich nicht, die Suche nach eben diesem war schon wieder das reinste Abenteuer – schmale Sträßchen, schwache Beleuchtung, abbiegen mit zwischendurch rückwärts rangieren – Sackgassen, da musste der Skipper noch mal alte Fahrkünste aufwärmen um uns aus dem Labyrinth rauszumanövrieren. Auch Google ist nicht hilfreich – kein Netz!
Leere Altstadt Trüffel-Bütterken Pistaziencreme
L’Aquila ist die Provinzhauptstadt der Abruzzen, mit Gran Hotel (da waren wir nicht), Gouverneurspalast und Fußgängerzone, zurzeit ohne Touristen, die kommen wohl erst ab März wieder. Sehenswert die große Burganlage der Spanier, wegen Renovierungsarbeiten nicht zu besichtigen, dafür mit großartigen Aussichten auf die Berge und schöner Parkanlage. Die vielen Stadtpaläste zeugen von einer wechselvollen Geschichte. Abends lässt sich nur erahnen, das hier in der Saison die Post abgeht, dann trifft man sich in einer der vielen Szene-Kneipen. Wir haben mit Mühe eine Trattoria gefunden, die geöffnet hat, als Entschädigung gab’s – noch warme Bruschetta mit frischen Trüffeln, die werden in den Abruzzen erfolgreich gesammelt!! Ein Gedicht – die Vorspeise, einfach und lecker. Am Morgen stecken wir die Route weiter rein in die Berge, wir passieren viele Einödhöfe, die wirklich einsam und von der Welt abgeschlossen liegen.
Das Leben hier kann nicht leicht sein. In den Tallagen entdecken wir Ackerfelder auf denen Linsen! angebaut werden. (In einer Doku haben wir davon erfahren – wir wussten vorher nichts darüber.) Linsen aus den Abruzzen kann man hier in Rom in vielen Geschäften kaufen, die Herkunft wird als Qualitätsmerkmal herausgestellt. Ansonsten reicht die karge Vegetation gerade für ein paar Ziegen und Schafe, die Milch für den begehrten Pecorino-Käse produzieren. Als wir uns fragen, wie man hier mit Bär und Wolf umgeht, entdeckt der Skipper eine Schafherde mit Wachpersonal: zwei Herdenschutzhunde, Pyrenäenberghunde oder vielleicht auch Maremmano-Abruzzese, laufen mittendrin.
In Natura sind diese Hunde überaus beeindruckend. Sie sind freundlich aber energisch und so lange man nicht in das umzäunte Areal eindringt, hat man von ihnen nichts zu befürchten, denn sie verlassen ihre Herde niemals. Wir hätten diese Hunde nicht erkannt, wenn wir nicht vor kurzem einen Fernsehbericht über einen Schäfer in Brandenburg gesehen hätten, der diese Rasse neuerdings im Einsatz hat, denn er hält seine Schafe und Ziegen im Wolfsland, das nächste Wolfsrudel hat sich nur 60 km entfernt angesiedelt, für einen Wolf ein kleiner Trimmtrab am Nachmittag. Seitdem er diese Hunde hat, wurde bei ihm kein Tier mehr gerissen. Die Hunde werden quasi in der Herde geboren und leben mit dieser, begleiten und schützen sie im Sommer wie im Winter, Tag und Nacht, denn die Herde ist ihr Rudel. Diese Hunde wiegen 50 – 60 kg und sind auch für Wölfe echte Gegner. Die gewünschten Eigenschaften sind angeboren, ein Hund lernt vom anderen, lediglich an der Leine gehen und das Tabu von Zäunen, die nicht übersprungen werden dürfen, müssen sie von Menschen lernen. Bricht ein Wolf in das umzäunte Areal ein, ist ein Kampf unausweichlich, denn die Hunde ziehen nicht zurück. Obwohl Wölfe meist im Rudel jagen und zahlenmäßig überlegen sind, scheuen sie die Auseinandersetzung mit den Herdenschutzhunden und suchen sich leichterer Beute, da sie sich vermutlich im Kampf verletzen würden. Ein geschwächter Wolf jedoch ist dem Hungertod geweiht. Zum Treiben und Zusammenhalten der Herde braucht der Schäfer andere Mitarbeiter wie Bordercollies oder ähnliche, denn das können die Herdenschutzhunde nicht. Wir fanden den Bericht damals überaus interessant. Nicht immer müssen Wölfe geschossen werden, wenn Schafe oder Ziegen gerissen werden. Weitere Infos findet ihr im Internet.
Scanno
Wir haben Lust auf mehr Abruzzen und nach dem Studium der Straßenkarte, kurbeln wir uns auf kleinen Straßen an der Schneegrenze entlang zu dem kleinen Ort Scanno. Die Skipperin findet im Internet einen Hinweis auf eine B&B Unterkunft. Zur Sicherheit vorab ein Kontrollanruf, wir bekommen Kontakt, „Nein, wir haben nicht vorgebucht, die Idee bei ihnen zu übernachten kam spontan“. „Kein Problem, wir haben geöffnet, sie sind willkommen“! Das fängt gut an und wird noch viel besser. Wir kommen mittags in Scanno an und dürfen das Auto schon mal auf dem privaten B&B Parkplatz abstellen.
Neugierig erkunden wir erst mal die nähere Umgebung und entdecken eine antike Trattoria – aperto (geöffnet). Hunger? Eigentlich Zeit fürs Pranzo, so`ne Pasta-Verkostung wär jetzt genau richtig. Im alten Gemäuer sitzen wir nicht allein und unverhofft stellt uns der Wirt ein kleines Amuse-gueule – gekochte Schweinebauch-Scheibchen mit Pesto – auf den Tisch. Der kleine Hunger wird mit genialen Ravioli und Pasta mit Bohnen gestillt dazu ein Glas Bianco und ein Bier, jetzt noch ein Café und unser Lokal fürs Cena (Abendessen) steht fest, besser geht nicht. Hier wird mit Engagement gekocht, kein Schickimicki, sondern schmackhafte Hausmannskost a la Abruzzen.
Blick vom Balkon
Falls es euch interessiert, abends essen wir die Antipasti-Platte mit regionalen Schinken – und Wurstspezialitäten und genießen dann gegrillte Lammkoteletts mit geschmortem Wirsing und Kartoffelecken, Tiramisu zum Dessert. Zurück zur Unterkunft, die sich in einem alten Palazzo mitten im Ort befindet, schon beim Betreten des Hauses fällt einem die Kinnlade herunter, dicke Wände, ein riesiges Eingangsportal. Die überaus sympathische Vermieterin zeigt uns unsere Zimmer teilweise mit Deckenbemalung, antiken Möbeln und eigenem Hausaltar!! Hier werden alle Wünsche an gemütliches Wohnen erfüllt.
Frühstückszimmer Hausaltar
Der Palazzo blickt auf eine wechselvolle Vergangenheit zurück, war im 2 Weltkrieg von der Wehrmacht zeitweise requiriert und als Militärhospital genutzt worden. Die Erkundung des vom Tourismus scheinbar verschonten Ortes ist überaus kurzweilig, überall gibt es was zu bestaunen und außergewöhnliches zu entdecken.
Die Bewohner achten auf ihren Ort, sorgfältig werden Erhaltungsarbeiten gemacht, manches alt gelassen aber nicht vernachlässigt. Müll ist nirgendwo zu sehen. Das Geläuf ist echt schwierig, der Ort liegt auf der Bergkuppe, egal in welche Richtung man läuft, gefühlt geht es irgendwie immer stramm bergauf. Hoffentlich kann Scanno sich seinen Charme bewahren! Die Zeit geht leider viel zu schnell vorbei und nach einer erholsamen Nacht in einem wirklich guten Bett serviert uns die Vermieterin noch ein Frühstück bei dem keine Wünsche offen bleiben. Diese Unterkunft können wir wirklich weiterempfehlen, wir jedenfalls haben uns richtig wohl gefühlt.
Scanno liegt auf 1050m Höhe, auf der nächste Etappe führt die Straße rauf zum „Passo Godi“, Schnee reicht bis an die Straße. wobei wir nur einen kümmerlichen Rest sehen, wenn man die Höhe der Schneestangen zum Vergleich sieht. Hier oben ist eines der Skigebiete mit Liften und Pisten – zur Zeit reicht die Schneelage für Wintersport nicht aus. Mit unserem Leihauto mit den Sommerreifen kämen wir hier auch nicht weit. Weiter südlich im Gebirgsmassiv Majella liegt meist genug Schnee für den Wintersport. Bergab zieht sich die Schneedecke schnell zurück und macht Platz für die ersten Frühlingsblüten.
Von hier aus ist man in einer Autostunde an der Adria – wir sind neugierig und fahren hin. Wie zu erwarten ist das Meer blau und sieht malerisch aus, das finden im Sommer aber auch tausende von Touristen und entsprechend ist die Küste mit Hotels zugepflastert, mit Direktzugang zum Strand, jetzt sind die meisten in der Winterpause – wirkt ungemütlich. Wir hätten es wissen müssen, an Ostias Strandpromenade ist es nicht anders.
Noch mal kurz die Wettervorhersage checken – morgen gibt’s Regen, in den Bergen Schnee. Wir schauen uns an – ein Blick auf die Karte – es ist entschieden: wir fahren nach Hause. In 3 Stunden auf der Autobahn fliegen wir wie in einem Zeitraffer an all den schönen Orten vorbei und haben wundervolle Erinnerungen im Kopf und Bilder auf der Kamera – schöööön war’s. Die Abruzzen warten auch auf euch!