Überraschungen

der Canal des Ardennen liegt nun hinter uns, eindeutig der Favorit des Skippers, während die Skipperin bei der Bewertung den Canal entre Champagne et Bourgogne bevorzugen würde. Es ist keine Frage zwischen gut und schlecht, sondern zwischen gut+ und sehr gut, eben mit der kleinen Sahnehaube obendrauf. Gerade deshalb ist es für den Skippers der Ardennenkanal, denn der zeigt sich nach seiner Meinung etwas abwechslungsreicher. Es ist einfach herrlich, Natur pur! Viele Übernachtungsplätze liegen abseits im Nirgendwo, sicher gefühlt haben wir uns jedoch immer.

Der Geruch von frischem Heu liegt in der Luft, wann haben wir das eigentlich zuletzt mal so intensiv wahrgenommen? All die kleinen Herausforderungen, die der schmale Kanal an uns stellt, können wir mehr oder weniger meistern und sie machen die Reise aufregend, sind die Würze, obwohl einem jedesmal ein gehöriger Schreck durch die Glieder fährt, doch irgendwie findet sich immer eine Lösung. So manches Mal war uns doch etwas mulmig, auf der letzten Etappe des Ardennenkanals zeigt der Tiefenmesser nur noch 1,4m Wassertiefe, das ist knapp, wenn 1,3m benötigt werden. 

Und dann das noch: Kurz nach der Ausfahrt aus einer Schleuse im Ardennenkanal will Columbia plötzlich nicht mehr vorwärts fahren. Sie schwimmt, sitzt nicht fest, der Motor läuft und die Antriebswelle rotiert, doch es fühlt sich an, als ob uns jemand festhalten würde. Flussnixen? Haben wir vielleicht die Schraube/Propeller verloren? Wir beide haben keine Idee, irgend etwas jedoch ist definitiv nicht in Ordnung. Zusätzlich ist der Kühlwasserausstoß gegen Null – also Motor stopp und aus. Wir treiben mitten „im Auenwald“ und sind manövrierunfähig.

Schön, wenn man in einer solchen Situation Freunde hat, auf die man sich verlassen kann. Unisax kommt zurück und schnell ist eine Leinenverbindung hergestellt, 2 km wird Columbia zum nächsten Anleger geschleppt. Der Skipper zwängt sich in den Neopren – irgendwie passt der inzwischen wieder besser – und ab ins Wasser.

Die Dokumentation mit der Kamera (glaubt einem ja sonst keiner) zeigt ein eindeutiges Ergebnis. Der Faltpropeller ist fest eingewickelt in Schilfgras, ein fürchterlich robustes und widerstandsfähiges Zeug, wie Plastikbänder, da könnte man auch tolle Kabelbinder oder Verpackungsmaterial draus herstellen.

Der Propeller ist kaum noch zu sehen, so kann er natürlich nicht arbeiten, wenn die Anströmung fehlt. Messer raus und freischneiden. Natürlich muss auch das Kühlwassereinlasssieb wieder freigelegt werden – mittlerweile Routine. Und mal wieder ein wunderschöner Tauchgang in der Gemüsesuppe  – herrlich, muss man erlebt haben, kann man nicht beschreiben. So gut vorbereitet geht es am nächsten Tag auf die Königsetappe – 26!er Schleusentreppe mit nur wenigen hundert Metern Abstand zwischen den Schleusen. Da kann man nicht mal zwischendurch auf Klo gehen. Nach der Hälfte sind wir platt. Die Skipperin, schweißüberströmt, steht kurz vor der Notabschaltung, mit solch sportlichen Übungen unter heißer Sonne haben wir bei der Planung nicht gerechnet. Wir legen eine Zwischenübernachtung ein.

Bei den Schleusungen verändert sich die Landschaft oftmals ganz radikal und wir schauen neugierig, wenn die Tore sich öffnen. Eben fahren wir inmitten saftiger Wildwiesen unten in die Kammer ein und oben kommen wir im Wald raus.

Sehr reizvoll. Jeder Tag steckt voller Überraschungen. Wie schon berichtet stehen viele der kleinen Schleusenhäuschen durch die Automatisierung leer, das Personal ist abgeschafft worden. Diese Häuser sind alle baugleich und massiv aus Kalkstein um 1830 erbaut.

Doch einige Häuschen fallen ins Auge, sie sind mit viel Liebe und Elan wieder hergerichtet worden. Schön zu sehen, dass das Leben in sie zurückkehrt und sie nicht weiter verfallen oder überwuchern. Mal ist der neue Besitzer ein Rosenliebhaber, mal Märchenerzähler mit verwunschenem Hexenhaus in der Wildblumenwiese. Ein anderes Mal ist das Schleusenbassin wie ein Pool in die Gartengestaltung integriert.

Tolle Idee, von der auch der Haushund, ein junger Labrador, ganz begeistert ist, denn er wartet oben ganz aufgeregt am Schleusenrand. Endlich kommen mal wieder Leute, die müssen doch sehen, dass ich ganz dringend geschmust werden muss. Wenn man mit der Einsamkeit klar kommt, kann man hier glücklich werden. Gefühlt hundert Häuser warten noch darauf, wachgeküsst zu werden, kleine Anbauten für eine Werkstatt, ein Atelier oder für die Kleinviehhaltung bieten tolle Gestaltungsmöglichkeiten. An die Stelle des individuellen Schleusenwärters an jeder Schleuse ist ein zentraler Dienst der französischen Binnenschiffahrtsverwaltung (VNF) getreten. Die Mitarbeiter zeigen sich durchgängig engagiert, kompetent und nett. Funktioniert mal eine Schleuse nicht, reicht in der Regel ein Anruf bei der Störungsnummer, funktioniert auch sonntags. Die Telefonnummer ist auf der Fernbedienung und an fast jeder Schleuse angebracht, Handyempfang besteht durchgängig, englisch wird nicht immer gesprochen. Von einer halben bis zu zwei Stunden haben wir warten müssen, bis ein Techniker mit seinem Dienstwagen vor Ort war. Telefonische Ankündigung: „The riverman is coming!“ Das lästige Herumtreiben vor der Schleuse hat mangels Festmachmöglichkeit am Ufer den Skipper zu manch abenteuerlicher Aktion verleitet. Da muss auch schon mal ein Seil um wucherndes Gestrüpp oder einen Baumstumpf genügen. Einige Schleusen brauchen dringend eine Überholung.

Die Technik ist marode und immer öfter schalten die Anlagen auf Störung, während andere Schleusen schon generalüberholt sind. Da ist noch einiges zu tun und zu investieren. Es ist jedoch immer Zeit für ein Lächeln, einen freundlichen Tagesgruß, der Frage woher, wohin. Leinen werden angenommen und eine gute Weiterreise gewünscht. Als wir mit dem Schraubenproblem am Anleger festmachten und der Skipper im Taucheranzug ins Wasser geht eilen zwei VNF Mitarbeiter von einer nahegelegenen Baustelle herbei und haben sofort ihre Hilfe angeboten.

Fachsimpeln mit den VNF-Mitarbeitern

Hut ab, so kann öffentlicher Dienst auch sein. Wir fahren ab jetzt auf der Meuse, ein Fluss mit Strömung wie die Saone, dieses Mal ist der Strom mit uns und beschleunigt Columbia mit bis zu 2 kn. Einige Abschnitte mäandern so stark, dass man parallel, Kanalabkürzungen gebaut hat. Daher heißt das Gewässer auch Canal de L’Est branche Nord. Mit Erreichen der belgischen Grenze verlassen wir den Zuständigkeitsbereich der französischen Kanalverwaltung des VNF und aus Meuse wird Maas, der wir bis Maastricht folgen werden.

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